digital ist fossil

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Die Digitalisierung der Lebens- und Wirtschaftswelt schafft ganz neue Verletzlichkeiten; diese Welt ist aus dem Schatten angreifbarer und verletzlicher als je eine zuvor in der Geschichte der Moderne. Diese Welt ist nicht robust; insbesondere deswegen nicht, weil sie aufgrund ihrer Verflechtungsarchitektur systemische Risiken schafft, die sehr schnell zu Dominoeffekten führen können. Marc Elsberg hat in seinem Roman »Blackout« (1) gezeigt, was alles nicht mehr funktioniert, wenn großflächig der Strom ausfällt. Das sind Dinge, auf die man so schnell nicht kommt: Fahrstühle, Rolltreppen, Licht, Warmwasser, Kühlschrank – das ist klar. Aber wer denkt darüber nach, dass man nicht mehr tanken kann, weil die Zapfsäulen Energie benötigen, genauso wie Verkehrsampeln, Straßenbeleuchtungen, Bankautomaten, Straßenbahnen, Züge – also die komplette Infrastruktur unseres ganz normalen Alltagslebens? Wer kommt dann wie zur Arbeit, zur Schule, zum Dienst? Das alles ist aber noch harmlos: Weiter geht es mit dem Ausfall von Kühlanlagen in Supermärkten und Atomkraftwerken, den Sicherungseinrichtungen in Gefängnissen, wenn es lange genug dauert: den Notstromaggregaten in den Krankenhäusern und Sicherheitszentralen usw. usf.

Ein solches Szenario führt, wie der Roman ziemlich sachlich darlegt, sehr schnell zum Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, inklusive Plünderungen, Gewalt und all dem, was funktionierende Institutionen und Infrastrukturen normalerweise gewährleisten, ohne dass einem das bewusst wäre. Die digitale Welt ist in einem solchen Fall in kurzer Zeit schlicht und ergreifend inexistent, und die analoge steckt in allergrößten Schwierigkeiten, weil die Vernetzung das System insgesamt ja so verletzlich gemacht hat, dass viele Teilsysteme eben nicht mehr autonom funktionieren.

Das heißt aber nichts anderes als: digital ist fossil. Denn gegenwärtig sind ja die Infrastrukturen der Energieversorgung global betrachtet weit überwiegend die des fossilen Zeitalters und basieren auf Öl, Kohle, Atomkraft und nur zu geringen Anteilen und sektorenspezifisch aus erneuerbaren Energiequellen, deren Funktionieren übrigens wiederum von digitaler Technologie abhängig ist. Ein solches System kann nicht robust sein; mit dem Vernetzungsniveau steigt das Verletzungsrisiko. Das ist eine einfache Rechnung, grundsätzlich aber keine schlechte Nachricht, zeigt sie ja nur: Der Kaiser ist ziemlich nackt.

Denn die ganze Wundermaschine der Digitalisierung hat ein systemisches Problem. Sie ist nicht autark. Sie funktioniert nicht autonom, sondern nur in Abhängigkeit – deshalb ist sie nach außen offen und daher grundsätzlich angreifbar und prinzipiell verletzlich. Absoluten Schutz, und das demonstriert nicht nur das gehackte Auto, gibt es nicht. Was aber noch gravierender ist: Die Maschine hängt, das zeigt »Blackout« eindrucksvoll, von externer Energiezufuhr ab, weshalb die Gadgets, all die Serverfarmen, all die Überwachungszentralen nicht mehr als nutzloser Plunder sind, wenn der Strom lange genug ausfällt. Und die Maschine braucht Input, sonst läuft sie nicht. Fällt nur einer dieser Faktoren aus, wird die angeblich so intelligente Maschine blitzartig, von einer Sekunde auf die andere, dumm wie ein Stein. Sie ist nämlich nichts aus sich selbst heraus. Ein iPad lässt sich dann allenfalls noch als Frühstückbrettchen verwenden. Die Sache mit dem Input weist auf etwas Grundlegendes: Die Dummheit, die hinter all der Smartness auftaucht, wenn etwas extern nicht funktioniert, ist systemische Dummheit.

Aus: Welzer, Harald: Die Wiederaneignung der Welt. In: Derselbe: Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit. 2. Auflage, 2018, Seite 218-221.

(1) Elsberg, Marc: Blackout. Morgen ist es zu spät. 2012. Das Szenario ist im November 2015 auf der Krim Wirklichkeit geworden.

Aktion „Freiburg 5G frei“, hier.

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Comment

  • Gabi Zara

    28. Juli 2019 at 18:20

    Hallo Jörg,
    es ist doch alles so angenehm in der digitalen Welt, so smart, so sauber in meiner Komfortzone. Da lasse ich mir von dir keine Angst machen. Das wollen doch alle. Normal.
    Wie gut, dass ich nicht normal bin und du auch nicht. Danke, für deinen schönen Artikel. Selberdenken war bisher immer das beste!
    Grüßle von der Kaiserin

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