Wegen Klima auf die Barrikaden?
Wenn gefragt wird, warum das Land so still ist oder man von baldigen sozialen Unruhen munkelt, denken wir weniger an rechtspopulistische Politikerschelte oder linkspopulistische Maipromenaden als an Stromrebellen und Klimaprotest. Das generelle Vorurteil besagt, »die Leute« seien für so etwas nicht zu haben. Der Soziologin Jutta Allmendinger verraten »Tonnen soziologischer Literatur«: »Die Leute denken nicht zehn bis fünfzig Jahre voraus. Nehmen sie die absehbare Energiekrise oder die globale Erwärmung. (…) Die Leute konsumieren beunruhigende Interpretationen gerade so, wie sie Süßigkeiten kaufen. Aber sie engagieren sich nicht selbst für Reformen, die sie verbal selbst durchaus wünschen.« Das gelte sogar für gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die sie selbst erfahren: »Die Leute erkennen eine ungerechte Gesellschaft, aber innerhalb der Hackordnung finden sie immer noch ganz viele Menschen unter sich. Damit beruhigen sie sich« (ALLMENDINGER 2009).
Anscheinend wird diese Selbstimmunisierung brüchig. Denn Menschen sind für den Klimaschutz auf die Straße gegangen oder haben andere Formen »unkonventioneller Beteiligung« gewählt. So nennt man eine Beteiligung jenseits von Wahlakt und Medienkonsum, wie die Mitarbeit in außerparlamentarischen Bewegungen und Organisationen. In den 1970er Jahren machten sich Bürgerinitiativen durch Demonstrationen und Selbsthilfe bemerkbar, heute sind es stärker professionalisierte Nicht-Regierungsorganisationen, die sich eher an Regierungen richten und sich bei einer bestimmten Größe und Bedeutung auch bei internationalen Organisationen akkreditieren lassen. Darüber hinaus reicht ziviler Ungehorsam wie die Mitwirkung an unangemeldeten Demonstrationen und Blockaden bis zu vereinzelten Sabotageakten. Wir haben kritische Konsumenten und Verbraucherschützer in diese Phalanx gedanklich eingereiht.
Diese Bandbreite unkonventioneller Beteiligung vom friedlichen Straßenprotest über die Unterschriftenaktion bis zur Volksabstimmung und zu juristischen Klagen und Einwendungen füllen mittlerweile auch klimapolitische Initiativen aus. Erstmals im Dezember 2007 demonstrierten einige Tausend Menschen ausdrücklich für mehr Klimaschutz […]
Es gibt also bereits »soziale Unruhen«, wenn wir die Reaktion auf die Systemkrise nicht länger im Prisma der Massenmedien wahrnehmen. Und es muss noch viel unruhiger werden, die Klima-Heldinnen und -genossinnen dürfen politischer und radikaler werden. Sie müssen deutlicher aussprechen, dass sie die Dinge nicht nur für sich selbst machen, sondern damit die Gesellschaft besser wird. Die lokalen Initiativen müssen vormachen, wie sich Bürgerinnen und Bürger die Demokratiekompetenz zurückholen, die sie seit den 1980er Jahren an die Parteien und an eine eher gefühlte Mitwirkung via elektronische Medien verloren haben.
Quelle: Leggewie, Claus; Welzer, Harald: Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima, Zukunft und die Chancen der Demokratie. 2011, Seite 212-216.
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Ergänzungen:
„Wir haben Morgenröte gesehen…“, Interview mit Jutta Allmendinger. In: tazMagazin Nr. 8811 vom 14.2.2009.
Agnoli, Johannes: Die Transformation der Demokratie und andere Schriften zur Kritik der Politik. Ça ira: Freiburg. 1990 (hier).
Transition Town Freiburg e.V. (Hrsg.): Wegen Klima auf die Barrikaden. Arbeitspapier. Redaktion: Jörg Beger. 15.03.2019, hier.
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Jörg Beger
31. Mai 2019 at 20:09Am 15.3.2019 hat die AfD bei einer Fridays-for-Future-Demo an die Schüler ein Klimaquiz verteilt. Harald Lesch spricht mit dem Klimaforscher Prof. Stefan Rahmstorf über die richtigen Antworten.
https://www.youtube.com/watch?v=pxLx_Y6xkPQ