„Peak Oil“ global wahr nehmen
„Die globale Ölförderung befindet sich seit etwa sechs Jahren auf einem Plateau. Angesichts dieser Tatsache ist es unverständlich, wie Regierungen und Behörden dies immer noch ignorieren oder herunterspielen können“ (SCHINDLER, 2011).
Es ist auffällig, dass die ersten, die von dieser Linie abweichen aus dem Bereich des Militärs kommen […]: Die Studie Peak Oil – Sicherheitspolitische Implikationen knapper Ressourcen (hier) als Teil der Gesamtstudie „Streitkräfte, Fähigkeiten und Technologien im 21. Jahrhundert (SFT 21-2040)“ stand ab Februar 2011 auf den Internetseiten des Zentrums für Transformation der Bundeswehr als pdf-download zur Verfügung (vgl. hier).
Im parlamentarischen Geschäftsprozess (vgl. hier) hatte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag am 11.11.2010 eine kleine Anfrage an die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland mit dem Titel „Vorbereitungen Deutschlands auf Peak Oil und seine Folgen“ eingereicht (vgl. hier), die am 30.11.2010 für die Bundesregierung federführend durch das Ministerium für Wirtschaft und Technologie beantwortet worden ist (vgl. hier). Es handelte sich dabei um den 17. Bundestag der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit zwischen dem 27. Oktober 2009 und dem 22. Oktober 2013 mit der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) und einer Regierungskoalition der Parteien CDU/CSU und FDP. Minister für Wirtschaft und Technologie war Rainer Brüderle (FDP) bis Mai 2011 (vgl. hier und hier).
Die parlamentarische Anfrage umfasste 25 Einzelfragen zu Auswirkungen des Peak Oil (Globales Ölfördermaximum mit danach zurückgehender Förderrate) auf Wirtschaft und Verbraucher, Ölpreis und andere Energiepreise, Verkehr und Transport, Wärmeversorgung, Chemieindustrie; vorliegende Studien; Reaktionen der Bundesregierung, insbes. Krisenmanagement bei ausbleibenden Alternativen, Neubewertung von Infrastruktur-, Investitions- und Entwicklungsvorhaben, Rationierung, Entwicklung internationaler Strategien.
Das Thema Peak-Oil wurde von den Mainstream-Medien lange Zeit in der Spinner-Ecke verortet, sofern es überhaupt vorkam. Typisch für die Berichterstattung waren Artikel über Leute, die im Central Park in New York nach essbaren Wurzeln graben, weil das Ende des Öls und damit das Ende der zivilisatorischen Welt nahe sei. Ab etwa 2005 lässt sich in den Medien jedoch eine zunehmende Verunsicherung feststellen, ausgelöst durch die Turbulenzen und Preissteigerungen auf dem Ölmarkt und das Versagen der alten Erklärungsmuster. Es finden sich vereinzelt auch ernsthaftere und weniger voreingenommene Berichte über Peak Oil und die Hintergründe. Aber es herrscht immer noch eine auffällige Scheu, sich mit dem Thema grundsätzlich zu befassen. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Vielleicht ist die fachliche Unsicherheit ein Grund, denn man müsste ja Stellung beziehen jenseits der gern geübten Berichterstattung des »Einerseits-Andererseits«, weiß sich aber nicht genügend kompetent. Man müsste ja entweder darlegen, warum Peak Oil Unsinn ist, oder man müsste die Konsequenzen von Peak Oil ernst nehmen – mit extrem weitreichenden Folgen. Also: Lieber das Thema vermeiden und allenfalls mal im Feuilleton behandeln (dorthin auslagern, wo sich alles Mögliche findet, das man in der harten Realität der Wirtschaft nicht wirklich ernst nehmen muss). Dazu passt es, wenn verstörende Signale aus der Industrie systematisch ignoriert werden.
Insbesondere wurde das beobachtete Plateau der Ölförderung ignoriert statt thematisiert. Mit zunehmender Dauer dieses allen bisherigen offiziellen Voraussagen widersprechenden Plateaus wuchs auch der Druck, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. Irgendwann ließ es sich nicht mehr vermeiden und es brauchte eine Deutung […]
Dabei sind die Begrenzungen des Ölangebots heute schon spürbar. Es setzt sich auch mehr und mehr immerhin die Erkenntnis durch, dass die Zeit des billigen Öls vorbei ist (the end of easy oil). Daneben gerät die begrenzte Verfügbarkeit von anderen Rohstoffen zunehmend in den Blick. All dies verstärkt die Ahnung eines kommenden Strukturbruchs. Wir erleben jetzt eine Umbruchsituation auch in der öffentlichen Wahrnehmung, die, befördert durch künftige Ereignisse, ganz schnell kippen kann […]
In dem Moment, in dem die International Energy Agency (IEA) sich unter zunehmenden Druck der Verhältnisse an die Realität annähert und im World Energy Outlook (WEO) 2010 wie selbstverständlich von Peak Oil spricht, den die konventionelle Ölförderung schon vor vier Jahren erreicht haben soll, wäre ein Anlass für einen Schub in der öffentlichen Diskussion gewesen. Immer ist in den vergangenen Jahren über den World Energy Outlook berichtet worden. Doch diesmal gibt es kein Echo in den Mainstream-Medien. Nichts. Das große Schweigen. Im Gegenteil, es erscheinen zeitgleich Artikel in der New York Times, die von der unbeschränkten Verfügbarkeit der fossilen Energieträger künden. Das Weltbild soll noch nicht neu justiert werden.
Es bleiben die Fragen: Warum werden die Zeichen nicht erkannt? Warum kümmert sich bisher (Winter 2010) keine gesellschaftliche Gruppe um das Thema, auch nicht die NGO’s (mit fast einer einzigen Ausnahme der Transition-Town-Bewegung)? Die Gesellschaft befindet sich in einem Zustand der kognitiven Dissonanz – widersprüchliche Informationen und Deutungen werden nicht aufgelöst, um dann zu einem konsistenten Handeln zu führen.
Trotz erster Anzeichen einer sich ändernden Wahrnehmung: De facto findet derzeit echte Information und Diskussion zur zukünftigen Verfügbarkeit von Öl immer noch – von abgesehen von einschlägigen Büchern – nur auf speziellen Seiten und Blogs im Internet statt, aber bisher so gut wie gar nicht in den Printmedien oder im Fernsehen. Wie lange noch?
Peak Oil ist jetzt.
Schindler, Jörg: Die Wahrnehmung von Peak Oil in der Öffentlichkeit. In: Derselbe:Öldämmerung. Deepwater Horizon und das Ende des Ölzeitalters. 2011, Seite 89-108. hier.
Jörg Schindler war bis Ende 2008 Geschäftsführer der Ludwig-Bölkow-Systemtechnik GmbH. Er war Mitglied der Enquetekommission des Bayerischen Landtags »Neue Energie für das neue Jahrtausend«“ und ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der ASPO (Association for the Study of Peak Oil and Gas) Deutschland.
Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO) Deutschland e.V., hier.
Schindler, Jörg; Zittel, Werner: Doch (k)ein Ende in Sicht? Peak Oil, Fracking und die Zukunft der Mobilität. Vortrag von Jörg Schindler und Dr. Werner Zittel (beide ASPO Deutschland und Ludwig-Bölkow-Stiftung) am 19. Oktober 2018, hier.
Blendinger, Wolfgang: Erdöl – Ein brisanter Rohstoff. Vortrag am 30.03.2016, hier und hier.
Schindler, Jörg: Zeitenwende: Der Anfang vom Ende des fossilen Zeitalters und die daraus folgenden „Großen Transformation unserer Welt“ am 27. Februar 2014, in 4 Teilen hier, hier, hier und hier.
Meadows, Dennis: Preparing cities for the age of declining oil. 23.11.2011, hier.
Schindler, Jörg: Die Utopie einer postfossilen Welt. Vortrag bei Tage der Utopie / St. Arbogast in Vorarlberg. 2005, hier.
Transition Town Freiburg e.V.: Arbeitspapier Die Wahrnehmung von Peak Oil in der Öffentlichkeit. Redaktion Jörg Beger, Frühlingsanfang 2019, hier.