Die Party der industriellen Landwirtschaft ist vorbei

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Von Traum und Trugschluss

Als erstes Ziel europäischer Agrarpolitik lässt sich festhalten: Alle Bürger(innen) sind mit einem gesunden Maß an Lebensmitteln zu versorgen, und dabei gilt es pro Kopf nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als jeder Erdenbürgerin und jedem Erdenbürger nachhaltig zur Verfügung stehen.

Von einem solchem Weltniveau sind wir heute meilenweit entfernt. Sollte es uns im Laufe der kommenden zwei bis drei Jahrzehnte gelingen, hier den Anschluss an den Weltdurchschnitt zu schaffen, wäre es möglich, die besonders günstige Klima- und Wasserlage, in der sich das nördliche Europa befindet, dafür einzusetzen, Knappheit in anderen Weltregionen zu lindern. Dergestalt zur Bekämpfung des Hungers in der Welt beitragen zu können – das ist für das Agrar-Entwicklungsland Europa heute freilich noch ein ferner Traum.

Wie soll all dies auf „bäuerliche“ statt „industrielle“ Art und Weise gelingen? Sind zur Bewältigung dieser gewaltigen Herausforderungen an die Landwirtschaft nicht alle verfügbaren und erdenklichen technologischen Innovationen erforderlich? Ganz gewiss.

Wir sollten uns jedoch über deren Möglichkeiten im Laufe von nicht einmal zwei Generationen keinen Illusionen hingeben. Vor allem sollten wir uns vor dem fatalen Trugschluss hüten, Beschleunigung und Rationalisierung – zumal im Sinne der Ersparnis menschlicher Arbeitskraft durch den Einsatz von Energie und Material – seien Triebfedern von Innovation und Fortschritt. Kurz- und mittelfristig dürften wir die größten Erfolge einerseits vom Verzicht auf Überflüssiges erwarten – angefangen mit dem Skandal, dass wir fast die Hälfte unserer Lebensmittel wegwerfen bis hin zu der simplen Wahrheit, dass wir hierzulande im Schnitt ein Drittel mehr Kalorien zu uns nehmen als notwendig.

Ähnliches gilt bezüglich der Nährstoffkreisläufe von Pflanzen und Tieren in unseren Landwirtschafts- und Ernährungssystemen und für die Energieeffizienz einer angeblich modernen Landwirtschaft. Gefragt sind hier Fähigkeiten, die in den vergangenen Jahrzehnten der Spezialisierung und Entwicklung einseitiger Spitzentechnologien wenig gepflegt wurden: das Zusammendenken und Erfassen komplexer Zusammenhänge. Keine Zunft hat diese Fähigkeit traditionell so sehr gepflegt wie der Bauernstand und seine Hauswirtschaft im umfassenden Sinne.

Das postindustrielle Konzept kleinbäuerlicher Landwirtschaft

Natürlich sind einer solchen vorkapitalistischen bäuerlichen Haushaltsführung, die mehr auf Sparsamkeit und Risikominimierung denn auf größtmöglichen Ertrag bei maximalem Risiko setzt, gewaltiges zusätzliches Wissen und mächtige neue Technologien zugewachsen. Selbstredend geht es nicht darum, in jene Art vor-fossiler Landwirtschaft zurückzufallen, die knapp ein Drittel der gesamten Fläche zur Energieversorgung von Pferden und anderen Zugtieren einsetzte. Doch die Zeiten, in denen die Hektarerträge sich alle 15 Jahre verdoppelten und der Energieaufwand dafür sich in der gleichen Zeit vervierfachte, sind ein für alle Mal vorbei. Die Zukunft unserer Lebensmitteltel- und Landwirtschaft liegt in der Optimierung der Effekte auf allen Ebenen: in erster Linie ihrer umfassenden Ernährungs- und Öko-Effizienz, in zweiter Linie in ihrer Wirksamkeit bei der Armutsbekämpfung und Schaffung menschenwürdiger Existenzen, und last but not least in ihrer gesundheitlichen und kulturellen Wirkung.

Die Forderung „Bauernhöfe statt Agrarindustrie“ steht so gesehen für ein postindustrielles Konzept bäuerlicher, solarer Landwirtschaft, die lokale und regionale Stoff- und Wirtschaftskreisläufe so integriert und optimiert, dass die skizzierten Effizienzschübe möglich werden. Ein solches Konzept enthält dabei möglicherweise auch einen wahrlich neuen Begriff der Wertschöpfung, der materielle, ökologische, soziale und ethische Werte gleichermaßen einschließt und deshalb auch tatsächlich in der Lage ist, Wohlstand ohne Wachstum zu schaffen.

Aus Haerlin, Benedikt: Die Party ist vorbei. Die Zukunft der industriellen Landwirtschaft. In: oekom e.V. – Verein für ökologische Kommunikation (Hrsg.): Welternährung. Global denken – lokal säen. 2012, Seite 60-66.

 

 

 # Ergänzend weiterlesen:

Jackson, Tim: Wohlstand ohne Wachstum. 2012. Hier probelesen.

Wachstumskritiker Tim Jackson: „Wohlstand besteht nicht nur aus Einkommen… hier im Interview bei Frankfurter Allgemeine Zeitung.

 

 

 # In der Transition-Town-Bewegung streben lokale Initiativen ein funktionierendes Gemeinwesen in Zeiten von Peak Oil und Klimawandel an. Sie möchten die Energiewende kreativ und gemeinschaftlich voranbringen und Widerstandsfähigkeit für zukünftige Herausforderungen entwickeln.

REconomy – was ist das?.

REconomy bei Transition Initiativen in Deutschland.

 

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